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Offene Notiz für Julia Klöckner
Der Antisemitismus-Vorwurf gegen Augstein ist auch nach Ansicht von CDU-Politikerin Klöckner ungerechtfertigt. “Wenn jemand in einer freien Gesellschaft Regierungen kritisiert, ist das sein gutes Recht”, sagte Klöckner an diesem Donnerstag. “Wenn man daraus Antisemitismus ableitet, dann ist das sehr gewagt.”
Stand bei Spiegel-Online.
Sollte das nicht stimmen und Sie heute dementieren, sehr geehrte Frau Klöckner, machten Sie mich glücklich und vergessen Sie dann einfach, was jetzt folgt.
Also:
Hallo Frau Klöckner,
das Gute zuerst. Seit gestern weiß ich, dass meine geliebte Partei eine stv. Vorsitzende namens Julia Klöckner hat. Herzlichen Glückwunsch. Und immerhin haben Sie es sogar auf die Seiten von Spiegel-Online gebracht. Ist doch was.
Weiterhin das Beruhigende. Das besteht darin, dass stv. Bundesvorsitzende der CDU nur in den geringsten Fällen in der Vergangenheit, ich bin seit 1977 in der CDU, etwas zu sagen hatten. Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Und in Zeiten, da Mutti eh alles bestimmt und eine politisch diskutierende Partei nicht wirklich gefragt ist, ohnehin nicht. Daher kann ich mich beruhigt nach dem Auskotzen dieser Zeilen wieder hinlegen.
Beim allem anderen allerdings beginnt es zu gruseln. “Wenn jemand in einer freien Gesellschaft Regierungen kritisiert, ist das sein gutes Recht” Stimmt auffallend. Das ist gewissermaßen ein Inhalt der freien Gesellschaft, Sie haben es mit vollendetem Scharfsinn durchschaut. Das mit der freien Gesellschaft geht jedoch noch viel weiter. Man darf nämliche alles kritisieren, Schwaben in Berlin, die Preise des Pfälzer Weins, sinnfreie Äußerungen stv. Parteivorsitzender und man glaubt es kaum, sogar antisemitische Journalisten. Ist eine ganz tolle Sache, so eine freie Gesellschaft.
““Wenn man daraus Antisemitismus ableitet, dann ist das sehr gewagt.” Was wollen uns diese Zeilen sagen? Klar, in diesem Land, in dem der Antisemitismus erfolgreich mit bedingungsloser Kapitulation am 08.05.1945 um 23:01 Uhr abgeschafft wurde, kann es den gar nicht mehr geben, weshalb es ungemein gewagt wäre, das Gegenteil zu behaupten. Aber angenommen, es wagte jetzt doch einer, dieser Jude Broder zum Beispiel oder der Zuroff. Dann müßte er einen Bezug haben. Sie behaupten, es läge an der Kritik Augsteins an “Regierungen”. Unterstellen wir, das wäre so, was blühender Unfug ist, aber dazu weiter unten, dann folgern Sie, dass Kritik an Regierungen deshalb nicht antisemitisch sein könnte, weil die freie Gesellschaft sie zulässt? Vielleicht sollten Sie das mehrfach nachlesen, wer weiß, eventuell gelingt es dann sogar, die vollständige inhaltliche Unsinnigkeit dieser Aussage zu erkennen. Aber falls nicht, helfe ich gern auf die Sprünge. Freie Gesellschaften erlauben Antisemitismus, wenn er nicht volksverhetzend ist. Antisemitismus, verehrte Frau Klöckner, beginnt nämlich nicht erst auf der Rampe, auch wenn unsere Vorfahren mit der Gaskammer im Krematorium da unerreichte Maßstäbe gesetzt haben. Er ist etwas völlig Alltägliches und nur weil die Freiheit des Wortes ihn erlaubt, ist es nicht verboten, ihn auch als solchen zu bezeichnen. Was haben wir gelernt? Ist zwar eine tolle Sache, so eine freie Gesellschaft, aber manchmal richtig kompliziert. Besonders wenn eine verständliche und stimmige Aussage dabei herauskommen soll. Ich gebe zu, man läuft immer Gefahr, diese Fähigkeit im Rahmen der Parteisozialisation zu verlieren. Aber glauben Sie mir, lernen Sie es einfach wieder, kommt beim Wähler gut an. Versprochen.
Soweit so schlecht. Aber zwei sinnvoll miteinander verknüpfte Sätze sind schon anstrengend und vielleicht sollte man sie nicht einfach voraussetzen und Ihnen den völlig missglückten Versuch gemein um die Ohren hauen. Was ich aber nun unverschämter Weise wirklich bei einer stv. Bundesvorsitzenden voraussetze, ist die Fähigkeit des Lesens und der Sinnentnahme. Da enttäuschen Sie mich. Ihre einzige Entschuldigung wäre, nie etwas von Jakob Augstein zum Thema gelesen zu haben. Wäre aber auch Bullshit, warum äußerten Sie sich dann dazu? (Weil SPON anrief und Sie sich geschmeichelt fühlten, ich ahne es).
Das Dumme ist nämlich, kein Mensch hat Jakob Augstein einen Antisemiten genannt, weil er “Regierungen” kritisiert hätte. Btw. warum eigentlich drücken Sie sich derart gewunden aus, haben Sie ein Problem damit, die Worte israelische Regierung in den Mund zu nehmen? Dürfen Sie, die beiden Worte zusammen sind per se nicht antisemitisch. Bestimmt. Aber auch wegen einer Kritik an der israelischen Regierung hat der Walsersohn seinen Preis nicht bekommen. Selbst wenn diese unter dem Begriff Israelkritik bekannte Modeerscheinung schon die Befassung lohnt, besteht sie doch in dieser Form meist nicht aus legitimer Kritik an für falsch gehaltener Regierungspolitik, sondern bewusster Nachrichtenunterdrückung, Falschdarstellung und Diffamierung, gepaart mit obsessiver Verengung der Weltsicht auf ein hessengroßes Land im Nahen Osten. Doch für die Antisemiten TOP TEN hätte das nicht gereicht. Sonst wäre am Ende noch unser gemeinsamer Parteifreund Polenz dabei gewesen, Gott behüte.
Hätten Sie Augstein gelesen oder könnten Sie Gelesenes auch verstehen, dann hätte Ihnen auffallen müssen, dass Jakob Augstein völlig ungeniert und nahezu platt immer wieder primitive antisemitische Stereotype verwendet, durchaus in der Absicht, das deutsche Bauchgefühl zu wecken. Zwei exemplarische Aussagen will ich versuchen, Ihnen darzustellen.
Da war die Sache mit der Grassdebatte. Dieses gekonnte Machwerk, in dem der Greis mit Waffen-SS Jugend auf perfide Weise die Juden gleich zur Gefahr für den Weltfrieden stempelte, klang ja etwas wie Weltjudentum, Täter und Opfer umkehrte, um dann die alten Wiedergutmachungsängste im deutschen Volkskörper zu wecken, durch Hinweis auf die U-Boote. Daran hängte sich Jakob Augstein. Aber weniger verschlüsselt als der Grass. Als hätte jener das Steinchen in den Teich geworfen und die Reaktion darauf ermutigt, einen zweiten Versuch in ungeschminkterer Form zu wagen. Augstein setzte sich an die Spitze und seine Kommentierung der zuvor im Spiegel aufgewärmten U-Bootstory ließ keine Demaskierungswünsche offen. Hatte die Reaktion auf den Artikel gezeigt, dass allein “friedensgefährdende U-Bootlieferungen” doch nur Aufreger beim geneigten Ökopax hervorrufen, machte Augstein es jetzt ganz vulgär, dass man auf den ersten Blick an Satire glauben konnte. Für die deutschen Subventionen fürs U-Boot (übrigens damit auch für die eigene Werftindustrie), suggerierte er, wäre Geld vorhanden, sofern die Juden danach riefen, was dann den armen Schleckerfrauen zur Auffanggesellschaft fehlte. Die inhaltliche Zusammenhanglosigkeit wird ihm aufgefallen sein, nur darauf kam es nicht an, wichtig war eines, auf diese Weise wurden die darauf gestoßen, denen die U-Bootlieferungen solange egal waren, bis Deutschland nicht wieder finanzielle Hilfen an Israel leistete. Das gute alte Wiedergutmachungslamentieren galt es erneut zu provozieren, dass es jetzt selbst der Dümmste raffen musste. Augsteins Anliegen war schlicht, Israelfeinde aller politischen Richtungen gemeinsam mit dem guten alten Antisemiten unter einen Hut zu bringen. Ich erkenne da keine Regierungskritik.
Beispiel zwei. Antisemitismus hat eine Menge mit Verschwörungstheorien zu tun. Sie erinnern sich vielleicht, die Weisen von Zion gab es da mal oder 9/11 Truther, wenn sie behaupten, die Juden hätten das WTC vor dem Einschlag verlassen. Sicher erinnern Sie sich daran, dass kürzlich in Bengasi ein al-Qaida Kommando den amerikanischen Botschafter ermordete und in Khartum unsere Botschaft abgefackelt wurde. Zur Begründung wurde ein lächerliches Filmchen herangezogen, das in den Wüsten wohl täglich auf Youtube zu sehen war. Jakob Augstein hingegen verbreitete seine recht eigenwillige Version: „Kann man sich vorstellen, dass der kriminelle Kopte, der sich das vermutlich im Gefängnis ausdachte, und seine Crew ohne ihr Wissen dafür missbrauchte, in anderem als im eigenen Auftrag handelte? Zumindest traut man den Fundamentalisten im Lager der US-Republikaner und in der israelischen Regierung zu, die unerwartete Schützenhilfe politisch auszunutzen – was sie auch tun.“ Klar, schreibt Augstein nicht, der Jude ist schuld, dermaßen dumm ist er nun auch nicht, nein, diesen Schluss überlässt er voll und ganz dem Leser, doch man muss wirklich den Kopf woanders hin gewendet haben, um das nicht dem Text entnommen zu haben; die jüdischen Verschwörer samt CIA als Drahtzieher. Blödsinn darüber hinaus, weil die vorhersehbare Folge der Botschaftsmorde eher der feige Rückzug des Westens war und nur Nachteile für Israel brachte, denn die Leisetreterei ist voll in den Trend geraten. Wirklich, der antisemitische Klassiker schlechthin. So offensichtlich, dass es einem schon dusselig vorkommt, es dezidiert auszuführen. Als Broder an der Stelle ausrastete, hat Augstein mit gutem Grund den Rechtsweg gescheut.
Das habe ich alles noch bei mir selber geklaut. Hier, hier und hier. Es gibt auch Berufenere, bei denen Sie hervorragend sehr viel mehr nachlesen können, jene deutlichen Unterschiede zwischen Regierungskritik und Antisemitismus à la Augstein. Broder selbst hat die Mühe nicht gescheut, es ausführlich zu tun. Falls der Ihnen zu jüdisch ist, Sie ihn befangen finden, nehmen Sie Reiner Trampert. Altlinksaußen, in der gesamten Debatte völlig außen vor. Seine Darstellung ist eine Detailarbeit, die Sie gern widerlegen dürfen, falls Sie Ihre Äußerungen gegenüber SPON aufrecht erhalten wollen.
Meinen Respekt allerdings hätten Sie, wenn Sie sich entschuldigen würden. Für den Mist, den Sie da verzapft haben. Nicht, dass auch Sie noch zu den heimlichen Trägern des guten Gewissens zu zählen wären, die sich ertappt fühlten.
Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Schönen Freitag noch.
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Erstveröffentlichung bei Schwarzweiß – Kontraste – Zwischentöne, weiterhin bei Brüh-im-Lichte.
Die Studie, der Katalysator, der Musterschüler und die 20%
Vor einigen Monaten erschütterte für ein paar Tage eine Studie, nein bestimmt nicht das Land, wohl aber die einschlägige Medienwelt. Antisemitismus wäre mitten in der deutschen Gesellschaft vorhanden, jeder fünfte Deutsche gelte zumindest als latent judenfeindlich. Überraschung. Wer sich ein wenig politisch mit Israel und Judentum beschäftigt, ab und an es sich antut, mit anderen darüber zu diskutieren oder gar in sozialen Netzwerken Diskussionen zu diesem Thema verfolgt, vielleicht einmal Occupy-Foren gelesen hat, kann nicht wirklich über diese Binsenweisheit staunen, er hätte keine Studie dafür gebraucht. Natürlich wurde ein paar Tage lang lamentiert und natürlich war das Wort Rechtsextremismus immer in einem Atemzug dabei. Fraglos ist der gemeine Nazi von NPD bis zu den Kameraden hasserfüllter Rassenantisemit bis auf die Knochen, weshalb von denen auch weiterhin Synagogen und jüdische Friedhöfe geschändet werden und überraschender Weise gar keine Moscheen. Die kennen sich nämlich mit ihrem Freund, dem Großmufti, noch aus. Nun glaubt jedoch nicht einmal der engagierteste Antifaschist, dass 20% der Menschen latente Neigungen zu den Nazis hätten, vielmehr sind die eine zwar gewalttätige, wie wir lernen mussten sogar mörderische, doch isolierte, verschwindend kleine Minderheit. Das mit dem Antisemitismus muss einen Tick komplizierter sein und vielleicht einige sehr unerfreuliche Nuancen haben, die der deutsche Mainstream nicht zur Kenntnis nehmen mag.
Niemand wird behaupten, der Antisemitismus in Deutschland verschwand am 8. Mai 1945 spurlos. Er war nur nicht mehr opportun und die Generation Wehrmacht, die die ersten drei Jahrzehnte der Bundesrepublik prägte, hatte vor allem zwei Formen, damit umzugehen. Die einen behielten es für sich, gaben Lippenbekenntnisse ab und schwadronierten erst nach dem dritten Bier am Stammtisch, vorzugsweise über “Wiedergutmachungszahlungen”, die anderen, ehrlich entsetzt über die beispiellosen Verbrechen und mit Schuldgefühlen belastet, begannen nach der Phase des mehr als ein Jahrzehnt dauernden Verdrängens, sich mit Israel zu solidarisieren, als könnten sie das Geschehene kompensieren. Wo ehrliche Auseinandersetzung aufhört, Philosemitismus beginnt, ob dieser nur eine weitere Spielart des Antisemitismus ist, ob die allgemeine Bewunderung für den “Blitzkrieg” 1967 ein heftiges Geschmäckle hatte, mag Raum für lange Abhandlungen geben, Tatsache ist leider nur, Israel weiß heute, es gibt schlimmere Einstellungen zum Staat der Juden.
Es kippte in Deutschland spätestens nach dem Yom Kippur Krieg und der Ölkrise, höhere Benzinpreise tun dem Deutschen weh, vor allem aber mit dem Marsch der 68er in die Schlüsselstellungen von Politik, Bildungsbetrieb und Medien. Naiv, wer besseres von einer Generation erwartet hätte, die unter der Prämisse des Bekämpfens des Nazigeistes der Väter Massenmörder zu ihren Helden kürte, von Mao Zedong über Che Guevara, Ho Tschi-minh bis Pol Pot. Warum nicht auch Arafat und seine die Baader-Meinhof Bande sponsernde PLO, die es in den schauderhaften 70er Jahren ausschließlich mit permanentem Morden schaffte, von einer Banditentruppe zur politisch anerkannten Kraft zu werden, ein bis heute nicht nachvollziehbarer Gruselvorgang. Statt Solidarität mit Israel begann das Zeitalter der Israelkritik und der Anbiederung an die Palimörder, was nach Übernahme der stets israelfeindlichen DDR noch erhebliche Verstärkung erfuhr.
Seit gut 30 Jahren sind Medienberichte aus Nahost bestenfalls von Äquidistanz geprägt, zunehmend von einer bis ins Absurde gehenden Täter/Opfer Umkehr samt kritikloser Übernahme von Fälschungen und offener Lügenpropaganda der Palästinenser. Denselben Weg gingen Schulbücher und Unterrichtsthemen. Wer je das Themas aufgenommen hat, läuft immer Gefahr, sich mit nichts anderem mehr zu befassen, denn jeder Tag bietet neue Beispiele. Wundert es, wenn das Israelbild vieler junger Menschen völlig verzerrt und negativ ist?
Im letzten Jahrzehnt gesellte sich zu den offenen Nazis, den stillen Stammtischantisemiten und den Israelkritikern noch eine weitere Gruppe, Israelhasser aus nahöstlichen und muslimischen Migrantenmilieus, die nun unbeleckt jeder deutschen Belastung aus ihren Gefühlen keine Mördergrube machten, “du Jude” als Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen einführten, dabei keinerlei Kritik aus dem politisch korrekten Lager zu befürchten haben. Sie können sich frei ausleben bis hin zu stürmerähnlicher Propaganda, was ganz sicher eine Wechselwirkung auf all jene Verschämten hat, die sich jahrzehntelang nicht trauten.
Als Antisemit fühlt sich außer der Handvoll Nazis natürlich niemand. Der brave Bürger stört sich nur daran, dass einem die Juden immer angeblich alles vorschrieben und man ewig zu zahlen hätte, der Israelkritiker meint nur die gegenwärtige Regierung Israels, egal welche allerdings, und kompensiert sein deutsches Trauma damit, dass die Juden, die er nun Zionisten nennt, mit den armen unterdrückten Palästinensern im Grunde dasselbe machten, wie einst die Nazis mit den ermordeten Juden (Geschmacksgrenzen sind ihm fremd), weshalb er letztere zwar immer noch beweint, doch keinen Bezug zur Gefährdung lebender Juden sieht (Broders “Vergesst Auschwitz” sollte Pflichtlektüre werden) und der israelhassende nahöstliche Moslem erklärt, er wäre doch selber Semit, und jeder Jude solle leben können, wo er wolle, nur eben nicht in Israel oder in seiner Nähe.
Das überrascht so wenig, wie es überzeugt, denn etwas ist in Deutschland tatsächlich mit dem Kriegsende so gut wie ausgerottet. Das Bekenntnis nämlich, Antisemit zu sein. Schon von den 23 Hauptangeklagten im Nürnberger Prozess blieb einzig Julius Streicher, alle anderen beeilten sich, Unleugbares zuzugeben, nur rein persönlich hätten sie gar nichts gegen Juden gehabt, eine Argumentation die sich durch alle Schichten und alle Jahrzehnte danach zieht. Warum sollten der geneigte linksgewirkte Israelkritiker und die anderen ehrlicher sein?
In dieses eher eklige Gemenge trifft zum christlichen Osterfest ein Gedicht. Und das wirkt nach zwei Monaten beileibe nicht mehr so lächerlich und grottig, wie es einem voll Verachtung am Anfang schien. Günter Grass hat seine Worte genau gewogen und abgründig bösartig mit allen Antisemitismen ganz offen gespielt. Es brauchte den Abstand und die Debatten danach, um das Lachen über den senilen Greis mit der verheimlichten SS-Jugend zu verlernen.
Grass beginnt mit Andeutungen, Worten wie “Überlebende als Fußnoten” und dem Begriff “Erstschlag”, was die Vorstellung eines atomaren israelischen Erstschlages in den Köpfen der Menschen weckt, die kranke Fantasie einer Art Atomholocaust durch die Nachfahren der Opfer an dem Volk des Iran. Nur so ist auch die Brücke zur Gefährdung gleich des Weltfriedens durch Israel zu schlagen, was dem Staat der Juden eine völlig irrationale destruktive Kraft unterstellt. Irrationale Furcht vor dem Bösen, das die Juden über die Welt brächten, aber ist genauso Kennzeichen des Antisemiten, wie die grenzenlose Überhöhung der Fähigkeiten eines ominösen Judentums als handelndes Subjekt. Gefährdung des Weltfriedens hat eben nicht nur klangliche Ähnlichkeit mit Weltjudentum. Nobelpreisträger sollten wissen, wie Worte verstanden werden. Kontrastierend verwendet er dann, die schlichteren Gemüter der anvisierten Zielgruppen nicht vergessend, so platte Stereotype, wie das “man müsse es ja mal aussprechen” und “man liefe Gefahr, deshalb des Antisemitismus bezichtigt zu werden”. Schon dies allein erklärt die gewaltige Reaktion, die er erzielte, nicht die negative in den Feuilletons, deren Schreiberlinge wohl bemerkt hatten, welche Grenzen Grass da überschritt, sondern die überwältigende Zustimmung in den Netzkommentaren, die mit dem Feedback auf das sonstige tägliche Israelbashing der Medien überhaupt nicht vergleichbar war und auch nichts mit dem Nimbus des Schriftstellers zu tun haben konnte, denn es meldeten sich vor allem jene ganz normalen Deutschen, die vermutlich nie in ihrem Leben ein Buch von ihm in der Hand gehabt hatten. Die 20% hatten ihre Stimme bekommen, hinter deren Prominenz sie es wagen konnten, aus ihren Löchern zu kriechen. Grass jedoch ging dann noch einen Schritt weiter, jetzt wieder nur zwischen den Zeilen. Er spannte die Brücke von den üblichen Israelgegnern zum oben charakterisierten Stammtischantisemiten. Pazifistisch verbrämt kamen die U-Boote ins Spiel, verbunden mit dem unseligen Wort “Wiedergutmachung”. Mehr brauchte er gar nicht zu schreiben, um eine bestimmte Sorte deutscher Seelen zu treffen, jene nämlich, die immer wieder hinter vorgehaltener Hand klagte, es würden wegen des Judenmordes noch Generationen nachgeborener Deutscher mit finanziellen Lasten beschwert, sich als moralische Erpressungsopfer des schon erwähnten Judentums fühlten. Kaum jemand hat je verstanden oder verstehen wollen, dass die sog. “Wiedergutmachung” sich von Anfang an NICHT auf eine Art Entschädigung für sechs Millionen Ermordete bezog, was auch schlicht nicht wiedergutmachbar ist, sondern auf den Schadenersatz für schier unermesslich große geraubte Werte. Von arisierten Betrieben bis zu verwertetem Zahngold war es ein gigantischer Raubzug, den Ministerien und Reichsbank hochprofessionell organisierten. Dass diese Werte im wesentlichen im Wortsinne verpulvert wurden, weil davon sich die Kosten der letzten Kriegsjahre ganz erheblich mitfinanzierten, da mit den Rückzügen das Plündern fremder Staatskassen schwieriger wurde, ändert nichts an der Verantwortung des Nachfolgestaates, der die Bundesrepublik juristisch ist, vom moralischen ganz abgesehen. Die an Israel geleisteten Zahlungen sind bei weitem nicht den geraubten Gütern gleichwertig.*). Natürlich müsste ein Mann wie Grass, dessen gesamtes Werk immer wieder um die Nazizeit kreiste, das wissen, es dennoch so formuliert zu haben, zeigt die ganze Perfidie seines Machwerkes. Wenn es sein Ziel war, erstmals den kompletten antisemitischen Sumpf des Landes von links bis rechts zu vereinen, dann ging diese Rechnung auf. Er hat sie alle bedient und sie wagten sich zum sprachlosen Staunen derer, die es nicht fassen konnten, alle hervor. Wochenlang nahm es kein Ende.
Als die unselige Grassdebatte dann endlich ruhiger wurde, muss das Menschen gegrämt haben, so sehr, dass der Ball erneut aufgenommen wurde. Der Spiegel präsentierte den Grass aufgewärmt, seines pseudoliterarischen Brimboriums entkleidet, zur investigativen Räuberpistole umgearbeitet. Dieselben Zutaten; U-Boote, Atomraketen, deutsche Subventionen, Erstschlagskapazität, gefährdeter Frieden. Als hätte Grass das Steinchen in den Teich geworfen und die Reaktion darauf ermutigt, einen zweiten Versuch in ungeschminkterer Form zu wagen. Jakob Augstein, der Sohn des Schlußstrichwalser, setzte sich an die Spitze und seine Kommentierung der selbst aufgewärmten “Story” ließ keine Demaskierungswünsche mehr offen. Hatte sich beim Möchtegernhypeartikel gezeigt, dass allein “friedensgefährdende U-Bootlieferungen” doch nur Aufreger beim geneigten Gutmenschen hervorrufen, machte Augstein es so primitiv, dass man auf den ersten Blick an Satire glauben konnte. Für die deutschen Subventionen fürs U-Boot (übrigens damit auch für die eigene Werftindustrie), so die Suggestion, wäre Geld vorhanden, sofern die Juden danach riefen, was dann den armen Schleckerfrauen zur (sinnfreien) Auffanggesellschaft fehlte. Die inhaltliche Zusammenhanglosigkeit wird sogar diesem Autoren aufgefallen sein, nur darauf kam es nicht an, wichtig war eines, so wurden die darauf gestoßen, denen die U-Bootlieferungen solange egal waren, bis Deutschland nicht wieder finanzielle Hilfen an Israel leistete. Das gute alte Wiedergutmachungslamentieren galt es zu provozieren, auch Jakob Augstein, der Herr “im Zweifel links”, hatte vor allem ein Anliegen: Israelfeinde aller politischen Richtungen unter einen Hut zu bringen. Antisemitismus ist hoffähig geworden, nicht nur in Deutschlands angeblich erstem Nachrichtenmagazin. Denn die kritische Debatte, die über Grass zumindest noch in Politik und Zeitungen herein brach, sie blieb bei Augstein schon gänzlich aus, von der kleinen Gruppe der Israelunterstützer einmal abgesehen. Die Gewöhnung war eingetreten, man könnte auf den Gedanken kommen, es wäre von Anfang an so gedacht gewesen.
Wen wundert es da, dass ein SPD Oberbürgermeister von Jena ohne jede Reaktion seiner Partei Kennzeichnungen für israelische Produkte fordern kann, vielleicht sollten in die Orangen Davidsterne mit der Inschrift Israel eingestanzt werden. Alles inzwischen deutsche Normalität.
Es bleibt nur zu hoffen, dass die Studie recht hat und es wirklich nur 20% sind. Und, dass eines Tages auch Studien dieser Art den Mut haben, die Wirklichkeit zu benennen, die darin besteht, dass die offen rechtsradikalen Antisemiten nur der zahlenmäßig kleinere Teil des Problems sind. Solange das nämlich nicht so ist, kann sich der “Kauft-nicht-beim-Israeli-Bürgermeister” aus der NSU-Stadt Jena auch noch damit schmücken, doch eigentlich ein Kämpfer gegen den Antisemitismus zu sein, weil er ja in vorderster Front “gegen Rechts” zu finden wäre. Deutschland 2012.
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*) Wem der Sinn nach einer detaillierten Gesamtdarstellung der Finanzierung des NS Staates durch Raub und Plünderung steht, dem sei das Buch “Hitlers Volksstaat” von Götz Aly empfohlen.
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Erstveröffentlichung bei Schwarzweiß – Kontraste – Zwischentöne