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Der deutsche Tag, eine romantische Kristallnacht und die Bildungskatastrophe

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Als man im Jahre 1990 das wiedervereinigte Deutschland schuf, stellte sich neben vielem die Frage nach einem neuen Nationalfeiertag. Nach den emotionalen Erlebnissen der Revolution in der DDR, war der 9. November heiß diskutiert. Jener Tag des Mauerfalls, den die Ironie der Geschichte auf ein Datum legte, das wie kaum ein anderes die jüngere deutsche Vergangenheit in sich trug.

Das Ende der ersten demokratischen Revolution in Deutschland markiert die Erschiessung des Paulskirchenabgeordneten Robert Blum in Wien. Man schrieb den 9.11.1848. Am 9.11.1918 stürzte der Kaiser und Philipp Scheidemann rief als Folge der Novemberrevolution die Republik aus, die erste errichtete deutsche Demokratie mit dem Geburtsfehler, dass die Linke sie von Anbeginn bekämpfte, um die bolschewistische Revolution herbeizuführen, eine bornierte Rechte sie hasste, weil sie mit vagen Ständestaatsvorstellungen der alten, überlebten Ordnung hinterher trauerte. Schon ihre Geburt trug damit das Gift in sich, das zu ihrem Ende führte. Am 9.11.1923 versuchte zum ersten Mal Adolf Hitler mit einem dilettantischen Putschversuch die Macht in Deutschland an sich zu reißen, das blutige Scheitern vor den Gewehren der bayrischen Landespolizei, nahmen die Nazis zum Anlass, den Tag zu ihrem Feiertag zu machen, es war die Rede zu diesem Datum von Joseph Goebbels 1938, die den Startschuss zur Pogromnacht gab, jener Horrornacht, in dem der deutsche Zivilisationsbruch sich ein erstes Mal vor aller Welt unübersehbar manifestierte, jüdische Geschäfte geplündert und zerstört wurden, Synagogen angezündet, 30.000 jüdische Männer in die Konzentrationslager verschleppt und etwa 400 Menschen erschlagen. Die Verfolgung der Juden trat in das physische Stadium ein, das mit der Shoa als historisch beispielloses Verbrechen endete. Ein zynischer Volksmund nannte diese Nacht, ob der unendlich vielen zerschlagenen Scheiben, die Kristallnacht.

Der historische Treppenwitz, der Günter Schabowski sich an einem 9. November verplappern ließ und damit die rote Diktatur irreversibel hinweg fegte, spannte an einem Datum den Bogen von den gescheiterten und den verbrecherischen deutschen Wegen hin zu einem Neuaufbruch. Alles etwas viel Historie auf einmal, so dachte man wohl im Jahre 1990. Vielleicht auch mit Rücksicht auf das alljährliche Gedenken zur Pogromnacht, wurde ein willkürlicher Tag, der 3. Oktober, auf den man den juristischen Vollzug der Einheit legte, als Feiertag gewählt. Ein unbelasteter Tag ist ein Blick nach vorn, der sich vom Gewesenen abwendet.

Bei diesem Ansatz meinte man davon ausgehen zu können, dass das Novemberdatum sich in die Menschen spätestens ’89 eingebrannt hätte und die Schule jedem Nachgeborenen den Nationalsozialismus, seine Vorgeschichte und Verbrechen vermitteln würde, ebenso den Fall des kommunistischen Unrechtsstaates, damit unvermeidlich auch die deutsche Besonderheit dieses Tages. Im Jahre 2013 jährt sich das Novemberpogrom zum 75. Male. Das Fernsehen macht seine üblichen Sondersendungen, Feierstunden wird es geben, die Vorankündigungen laufen schon. Im schönen Thüringen gibt es eine Therme in Bad Klosterlausnitz, die eine Veranstaltung der ganz eigenen Art ihren Gästen anbot:

Kristallnacht

Damit schaffte es der Laden über ntv und Spiegel bis in die Jerusalem Post. Natürlich kann man nur auf die Idee kommen, hier wäre der Gipfelpunkt des bösartigsten Antisemitismus am Werk, eine Kristallnacht zu bewerben ist an sich ein Nogo, sie auf den 9. November zu legen, wer sollte da noch an Zufall glauben. Der Ort liegt neben Jena, jenem Schoß, aus dem der NSU kroch und dessen Bürgermeister Schröter Boykottaufrufe gegen israelische Produkte öffentlichkeitswirksam unterschreibt.

Doch noch am Tage der Entdeckung änderte die Therme den Namen der Veranstaltung und entschuldigte sich wortreich auf Facebook:

“Sehr geehrte Gäste,
in aller Form möchten wir uns für unsere unsensible Namensfindung für die Veranstaltung am 09.11.2013 entschuldigen. NATÜRLICH war das ausgesprochen unpassend. Ein kleinlauter Erklärungsversuch: Bei vielen unserer Veranstaltungen hängen wir aufgrund unseres Firmennamens häufig das Wort “Kristall” an. So auch dieses Mal. Wir bedauern das wirklich ausserordentlich und selbstverständlich war dies KEINE Absicht und glauben Sie uns, wir sind selbst ziemlich beschämt über unseren Fehler.”

Wer die weiteren Stellungnahmen der Mitarbeiter liest, wer mit ihnen telefoniert hat, der konnte das Unglaubliche lernen, es spricht vieles dafür, dass denen das wirklich nicht klar war, dass sie tatsächlich weder etwas mit einer Kristallnacht, noch der Bedeutung des 9. November anfangen konnten. Welche Schule, welches Bildungssystem, welche Eltern, welche Politik, welche Medien haben wir, die die geschichtslose Dummheit produziert? Wer den Thread liest, der unter der Entschuldigung beginnt, kann sich des Gruselns nicht erwehren. Geschenkt, dass Nazis, wie der Pressesprecher der NPD, Frank Franz, sich nicht entblödeten, ihr Süppchen zu kochen, die Reaktionen der ganz normalen jungen Deutschen ist so exemplarisch. Ein Beispiel sei herausgehoben: “…so doof wie leute die sowas extra nachrecherchieren um sich danach über vermeintliche Naziverschwörungen aufzuregen”, woraus wir lernen, dass man die Kristallnacht extra nachrecherchieren müsse, um auf sie zu kommen. Der Abwehrreflex ist heftig, wo es um die Shoa geht, ist der Wunsch übermächtig, deutsches Opfer, geknechtet von der Holocaustkeule, sein zu wollen. Wer den latenten Antisemitismus in Reinkultur erleben möchte, dem sei empfohlen, alle Kommentare durchzulesen. Überall dort, wo thematisch Juden oder Israel vorkommen, erlebt man Ähnliches. Mag sein, dass wissensfreie Dreistigkeit und die Bereitschaft, sie herauszulassen in Schröters Landen besonders groß ist, aber glaube niemand, es denke im Wessi wesentlich anders und seine Geschichtsbildung wäre höher. Die Schulen haben versagt, die Medien mit ihrer übermäßigen und nahezu durchweg negativen Israelberichterstattung ihren Teil dazu beigetragen, sich die deutsche Belastung mit antijüdischem Vorurteil erleichtern zu wollen.

Es war doch keine gute Idee, mit einem leeren Feiertag neu anzufangen. Ungeist beginnt mit Unwissen und dem Wunsch nach dem Ausstieg aus dem Erbe. Niemand der Heutigen trägt Schuld an der Vergangenheit. Aber jeder hat sein Deutschland geerbt, seine Kultur, seinen Wohlstand, seine Freiheit – und seine Verbrechen. Es lassen sich keine Rosinen picken. Wenn Schulen, Familien, Fernsehen und Internet das nicht mehr vermitteln können, dann wird es Zeit, es damit zu versuchen, aus dem unschuldigen 3. Oktober den historischen 9. November zu machen. Mindestens die Therme hätte dann vorher gewusst, auf welchem Eis sie sich bewegt.

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Erstveröffentlichung bei Schwarzweiß – Kontraste – Zwischentöne


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