Mit feuchten Augen zu allen möglichen Anlässen die Ermordeten der Shoa zu betrauern, Museumssynagogen dort zu eröffnen, wo kein Jude mehr lebt, sich die deutsche Last aber damit zu erleichtern, Israel für alles Unbill dieser Welt verantwortlich zu machen und auch schon mal Fedajinfeudel tragend israelisches Vorgehen gegen Terrormörder mit Naziverbrechen zu vergleichen, ist eine der vielen geschmacklosen Varianten des neudeutschen Antisemitismus, der sich gemeinhin “Israelkritik” schimpft. Dieser Tage hält die Welt einen kleinen Trost für alle die bereit, die dies verlogene Geheuchel zum Kotzen finden und sich fragen, was mit den Deutschen eigentlich los wäre. Es kann nämlich noch dreister kommen. Die argentinische Variante könnte man es nennen.
Vor ein paar Tagen wurde es dem Teufel zu langweilig und er holte sich Erich Priebke, den 100jährigen Gestaponazi, aus dem italienischen Hausarrest. Weil der alte Luzifer aber nur an der Seele Vergeltung übt, hinterließ er der Welt die Leiche und vor allem die Frage, wohin mit ihr. Immer Ärger mit Erich quasi. Der hatte eine Vorstellung gehabt, wo er die ewige Ruhe, die ihm hoffentlich die höhere Gerechtigkeit nicht lässt, verbringen wollte. Ganz als Biedermann an der Seite der schon verschiedenen Gattin auf dem Friedhof seiner argentinischen zweiten Heimat, da wo er die meisten Jahrzehnte seines Leben ungestört den Wohlstandbürger spielen durfte.
Wie gut, dass es tapfere Menschen gibt, die den Kampf gegen die Nazis post mortem führen. Lebende Nazis mit offenen Armen aufzunehmen, war den Peronisten der 50er Jahre wahre Herzensangelegenheit. In den Genuss der argentinischen Willkommenskultur kamen so freundliche Menschen wie Adolf Eichmann, Josef Mengele und viele, viele andere, darunter Erich Priebke. Den toten Priebke allerdings, den lässt der Peronist des 21. Jahrhunderts nicht ins Land. Da sei Außenminister Héctor Timerman vor, der flugs den Befehl erließ und twitterte, nicht die geringsten Bestrebungen zur Rückführung der Leiche hinzunehmen, da Argentinien diesen Affront gegen die Menschenwürde nicht akzeptieren würde. Wir lernen, wenn der gut integrierte Nazimörder brav seine Steuern zahlt und unauffällig Teil der Gesellschaft ist, ist es schon in Ordnung, aber modernd in Gauchoerde verbuddelt, das geht gar nicht, wäre ein Affront gegen die Menschenwürde. Zumindest wenn die Welt zusieht.
Der Herr Timermann weiß, worauf es ankommt. Mit toten Nazis lassen sich keine Geschäfte mehr machen, sie taugen eben nur dazu, an ihnen die rechtschaffende Gesinnung zu beweisen, die davon ablenkt, dass das Leben der Juden von heute nicht durch die letzten Greise von gestern gefährdet wird, sondern durch andere mit nicht minder entschlossenem Vernichtungswahn. Die kennt der Héctor nämlich auch. 1994 sprengten sie das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires in die Luft und ermordeten 85 Menschen. Unangenehmer Weise ließen sich die Hintermänner des Anschlags ermitteln, die Mullahs von Teheran waren es, mit denen nicht nur Argentinien gern Geschäfte macht. Zur Erledigung dieser Peinlichkeit, schloss der Außenminister ein Abkommen mit den Mördern, sein Land und der Iran gründeten eine gemeinsame Wahrheitskommission, um damit zusammen den Tätern auf die Spur zu kommen. Warum ist bloß nie in Italien einer darauf gekommen, dass man die Mafiaverbrechen am klügsten durch kollektive Ausschüsse von Carabinieri und Cosa Nostra aufklärt. Weil der Timerman Sinn für geschichtsträchtige Daten hat, unterschrieb er den Vertrag im Januar am Auschwitzgedenktag. Schon geregelt, innige Freundschaft geschlossen und weiter kann man verkaufen. Zum Beispiel Nuklearmaterial. Brauchen die Mullahs dringend, selbst wenn es angeblich nur Armaturen und Luftpumpen wären, wie es der Kämpfer wider Priebkes Leiche behauptet, denn der Iran bastelt, selbst die UNO hat es gemerkt, an der Bombe. Die Bombe, mit der der Traum des Teheraner Regimes von der Auslöschung des Staates Israel zu bewerkstelligen wäre. Die Shoa 2.0, an deren Verwirklichung auch das neoperonistische Argentinien sich gern zu beteiligen scheint. Aktiv ohne Tarnung, im Gegensatz zu dem Teil der Welt, der passiv mitwirkt, in dem er lächelnde Worte des Rohani glauben will, damit dem der Zeitgewinn zur Fertigstellung gelingt.
Wer sich ungestört mit den Judenmördern von heute gemein machen will, braucht nur PR-wirksam den Kadaver des verblichenen Gestapisten von sich zu weisen, schon ist er antifaschistischer Verteidiger der Menschenwürde. Angesichts so viel zynischer Bosheit lässt sich der bloß schwadronierende “Israelkritiker” mit den Krokodilstränen vorm Stolperstein doch beinahe lieb gewinnen.
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Erstveröffentlichung bei Schwarzweiß – Kontraste – Zwischentöne